Mega Zoff!

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Beschreibung

„Die Kaminski-Kids“ Band 2

Brunnen Verlag, Basel
154 Seiten, Taschenbuch, mit Illustrationen von Lisa Gangwisch

Als Taschenbuch erhältlich. Als gebundene Ausgabe vergriffen.

 

Loko ist einer der Stärksten der ganzen Schule. Er erpresst Raffi Kaminski und verlangt von ihr, im Laden etwas für ihn zu stehlen. Was soll sie bloß tun? Sie weiss weder ein noch aus. Als ihre Geschwister Simon und Debora hinter die Sache kommen, versuchen sie Raffi aus der Klemme zu helfen. Doch die Lage spitzt sich zu. In der Gegend häufen sich rätselhafte Straftaten. Wer steckt dahinter? Die Kaminski-Kids entdecken mit Hilfe ihres Hundes eine heiße Spur. Und es wird mega gefährlich …

Empfohlen durch das Schweizer Jugendwerk Pro Juventute.

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Leseprobe aus Mega Zoff!

1. Die Erpressung

«Na toll!»
Raffi blickte ihrem pinkfarbenen Gummiball nach: Er hüpfte vom Schulhof in die Parkanlage nebenan. Seufzend verdrehte sie die Augen und rannte hin. Doch unter den Bäumen lagen überall Laubblätter, der Ball war nirgends zu sehen. Raffi begann im duftenden Laub zu wühlen. Gedämpft drang der Kinderlärm herüber.
Da entdeckte sie den Ball, hob ihn auf und wollte zum Schulhaus zurück. Doch das ging nicht. Ein großer Junge stand vor ihr.
«Oh-oh», machte Raffi leise. Sie kannte ihn: Er besuchte die sechste Klasse, und alle nannten ihn Loko, weil er so stark wie eine Lokomotive war. Bisher hatte er noch nie mit ihr gesprochen.
Als sie an ihm vorüber wollte, stellte er sich ihr in den Weg. «Moment mal, Kleine!» Lässig schob er seine Schirmmütze hoch. «Wer hier durch will, muss bezahlen.»
Raffi linste zum Schulhof hinüber. Die Kinder spielten, niemand schaute her.
An dem Jungen kam sie unmöglich vorbei. Sie reichte ihm nicht mal bis zur Brust, und neben ihm versperrte hohes Gebüsch den Durchgang. Zaghaft hob sie die Schultern und murmelte: «Ich hab kein Geld dabei.»
Loko kam noch näher. «Macht nichts. Wir können die Sache auch anders regeln.» Er war jetzt so dicht, dass er sie fast berührte.
Raffi sah ängstlich ihren Ball an und klemmte ihn unter dem Arm fest.
Aber Loko lachte nur. «Das Spielzeug kannst du behalten, ich bin ja nicht so. Ist eh bloß Kinderkram.» Herablassend griff er nach ihrem Haar und rieb eine Strähne zwischen den Fingern. «Ich sag dir jetzt, was du machen wirst.» Er senkte seinen Kopf. «Wenn du’s nicht tust, dann …» Seine Augen starrten sie von ganz nah an. «Hast du schon mal gesehen, wie ich jemand verdresche?»
Raffi spürte Lokos warmen Atem im Gesicht. Sie schluckte leer und nickte. Ihre Knie zitterten.
Der Junge blickte sich rasch um, ob jemand hinsieht. Dann zog er an ihrer Haarsträhne. «Also. Du gehst zum Gemischtwarenladen und schnappst dir heimlich eine Flasche Whisky. Und die bringst du mir schön am Nachmittag mit. Dann ist die Sache für dich gelaufen. Kapiert?»
Wieder nickte Raffi. Sie konnte gar nicht sprechen. Tränen stiegen ihr in die Augen. Vor Angst, und weil’s so wehtat, dass Loko an ihrem Haar zerrte.
Doch er spannte die Strähne nun noch stärker an. «Wenn du irgendwem davon erzählst, bist du dran. Ist das klar?»
Ein Laubblatt segelte an ihr vorbei zu Boden.
«Ja-a … Ja», stammelte sie eingeschüchtert.
Endlich ließ Loko los.
Er schlug ihr den Ball aus der Hand und schlenderte locker zum Schulhof zurück, als wäre nichts geschehen.
Raffi sah beinahe nichts mehr, weil die Tränen ihre Augen verschleierten. Tausend Gedanken rasten ihr durch den Kopf. Sie konnte doch unmöglich im Tante-Emma-Laden stehlen gehen – das war total verboten, und sie würde dabei bestimmt erwischt werden, das wusste sie ganz genau. Doch was sollte sie denn sonst tun? Sie fürchtete sich so vor Loko, dass ihr beinahe schlecht wurde. Am liebsten wäre sie jetzt einfach zu ihrem großen Bruder Simon hinüber gerannt, der dieselbe Klasse wie Loko besuchte. Oder zu ihrer Schwester Debora, die drei Jahre älter als sie war. Aber sie durfte ja nichts verraten. Sonst geriete sie in Lokos Mangel – gar nicht auszudenken, was er mit ihr anstellen würde. Auch ihrer Lehrerin konnte sie nichts erzählen. Die könnte sie vielleicht im Schulhaus beschützen, doch überall sonst wäre sie Loko hilflos ausgeliefert. Er würde sie kriegen, keine Frage.
Die Pausenglocke klingelte. Raffi wischte sich die Tränen am Ärmel ab und lief zum Schulhaus hinüber. Den Ball ließ sie liegen.
Während der Schulstunde schweiften Raffis Gedanken immer wieder ab. Am liebsten hätte sie die Sache mit Loko einfach vergessen. Oder wäre aufgewacht und hätte festgestellt, dass alles nur ein Traum ist. Aber das war es eben nicht.
«Raffaela?»
Die Stimme ihrer Lehrerin ließ sie aufschrecken. «Ja?» fragte sie unsicher.
«Wovon träumst du gerade? Weißt du das Ergebnis?»
Natürlich hatte sie keine Ahnung. Verlegen schüttelte sie den Kopf.
«Besser aufpassen!» mahnte die Lehrerin.
Raffi senkte den Blick und starrte auf das Holzmuster ihrer kerbenübersäten Pultfläche. Gottseidank rief die Lehrerin nun einen anderen Schüler auf und musterte sie nicht mehr länger.
Die letzten Minuten des Unterrichts krochen vorbei wie eine Schnecke mit Leim am Bauch.
Als es endlich klingelte, packte Raffi ihre Hefte ein und trottete aus dem Schulhaus.
Vor dem Eingang wartete Debora auf sie, um gemeinsam mit ihr nach Hause zu spazieren. Simon eilte über den Platz zur Turnhalle – er hatte noch eine Sportstunde vor sich.
«Rück den Ball raus», verlangte Debora, denn sie spielten oft damit auf dem Heimweg.
Der Gummiball! Den hatte Raffi ganz vergessen. «Liegt drüben im Park», seufzte sie.
«Dann hol ihn schnell!»
«Kannst du nicht mitkommen?» Raffi sah ihre Schwester bittend an – sie hatte irgendwie Bammel, allein dort hin zu gehen.
Debora liess eine Kaugummiblase platzen. «Wieso denn? Gibt’s da etwa Gespenster?» Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse und stieß ein schauerliches Geräusch hervor: «Wuuuääh!»
Besorgt schaute Raffi sich um. Loko war weder bei der Grünanlage noch sonst wo zu entdecken. Da fasste sie sich ein Herz und sauste hinüber. Sie fand den pinkrosa Ball unter Laubblättern und steckte ihn sofort ein.
«Was ist denn los? Willst du nicht spielen?» fragte Debora, während sie zum Dorfplatz abbogen.
«M-m», druckste Raffi herum.
Debora spürte genau, dass ihre Schwester nicht wie sonst war. «Hast du irgendwas?»
Aber die Kleine zuckte nur die Schultern.
Um sie aufzumuntern, heulte Debora noch einmal laut auf: «Wuuuaaah!»
Nun musste Raffi schmunzeln. «Ja Pingu!» Das sagte sie immer, wenn sie was nervte. «Ja Pingu! Vor so ’nem Gespenst wie dir hätte ja nicht mal ein Baby Angst!»

2. Wer war’s?

Loko trat mit Simon und den anderen Kindern aus dem Umkleideraum in den langen Flur zur Turnhalle. Als sie an den Waschbecken vorüber kamen, liess Loko sich einen Mund voll Wasser heraus und spritzte damit einem Mädchen den Rücken voll.
Erschrocken drehte Sarah sich um. «Sag mal, spinnst du?!»
Loko grinste nur.
Sarah stützte die Arme in die Hüfte und blickte ihn herausfordernd an. «Ist das jetzt die Rache dafür, dass du vorhin in Mathe die viel miesere Zensur als ich hattest?»
«Weißt du, Sarah», erklärte Simon, «Loko ist halt noch im Spucke-Alter. Er braucht dringend ein Lätzchen!»
Das Mädchen lachte laut. Loko starrte Simon mit funkelnden Augen an und versetzte ihm einen Stoss.
«Hey!» rief Simon. «Lass das!»
Als Loko ihn mit dem Ellbogen anrempeln wollte, wich Simon in die Halle aus, wo der Lehrer schon erste Dehn- und Streckübungen machte.
«Friedlich, meine Herren!» wies er sie zurecht, und Loko gab widerwillig auf.
Drinnen miefte es nach Gummimatten und Käsefüßen. Die Kinder legten wie immer ihre Geldbeutel und persönlichen Sachen unter die Sprossenwand auf den Boden.
Der Lehrer, Herr Wurrmann, schaute auf seine Uhr. «Los geht’s, Leute! Aufwärmen ist angesagt! Drei Minuten joggen!»
Die Schüler begannen ihre Runden zu drehen. Schon nach kurzer Zeit überholte Simon den Letzten von hinten. Es war Loko – der wäre zwar einer der Schnellsten, aber statt sich abzustrampeln, trödelte er beinah im Schritt-Tempo im Kreis herum.
Simon schaffte mit Beni, seinem besten Freund aus der Klasse, am meisten Runden, bis der Schlusspfiff kam. Doch der Lauf hatte ihn ganz schön ins Schwitzen gebracht. Erhitzt trabte er zu den Waschbecken im Flur und hielt das Gesicht unter den Wasserstrahl.
Mit vertropftem T-Shirt und nassem Haar beobachtete er, wie Loko draußen vor dem Haupteingang mit Manfred, einem Jungen aus der Parallelklasse, sprach. Stutzig geworden, fragte Simon sich, was der wohl dort tat. Er hatte gar nicht bemerkt, dass Loko vom Joggen verschwunden war. Nachdenklich kehrte er in die Halle zurück, als Loko eben wieder in den Flur trat.
Simon kam gerade rechtzeitig zur Mannschaftseinteilung fürs Basketballspiel. Mit ihm war ein Team vollständig, doch dem anderen fehlte ein Junge.
Herr Wurrmann war verwirrt. «Es müsste doch aufgehen. Wer fehlt denn da?»
In diesem Moment erwischte er Loko beim Reinkommen. «Wo bist du gewesen?»
«WC», brummte Loko.
«Du weißt ganz genau, während des Unterrichts darf niemand ohne zu fragen raus! Das gibt eine Strafe. Zehn Runden extra!»
«Kratzt mich das?» Loko schlurfte absichtlich gemächlich vorüber.
Während er zu Laufen begann, stellten die Teams sich auf ihre Plätze, damit das Spiel endlich gestartet werden konnte.
Da rief ein Mädchen von der Sprossenwand herüber: «He! Hier stimmt was nicht!» Suchend blickte sie sich um. «Wo ist denn meine Geldbörse geblieben?»
Einige Kinder rannten hin.
«Und wo ist meine?»
Genervt ging der Lehrer zu ihnen. «Was ist denn jetzt schon wieder?»
«Ich hab mein Portemonnaie hier hin gelegt – und jetzt ist es weg!»
«Bist du ganz sicher?»
«Hundertpro! Das gibt’s doch nicht! Wer hat das Teil geklaut?»
«Wer vermisst etwas?» versuchte Herr Wurrmann Ordnung in das Durcheinander zu bringen. «Sind auch andere Dinge verschwunden?»
Alle Schüler kontrollierten, ob ihre Sachen noch da waren. Insgesamt fehlten drei Geldbeutel.
«Ich weiß, wer’s war!» schrie einer der Jungen und zeigte auf Loko, der seelenruhig seine Runden drehte. «Der da! Der war draußen und konnte die Dinger hinaus schaffen!»
«Schweinegehirn», sagte Loko gelassen, als er an ihnen vorbei joggte. Leichthin wies er mit dem Kopf auf Simon. «Der da war auch draußen.»
Überrascht richteten alle ihre Blicke auf Simon.
Der war völlig verdutzt. «Aber … Ich bin doch nur kurz zum Waschbecken!»
«Du bist also auch raus?» fragte Herr Wurrmann.
Peinlich betroffen nickte Simon.
«Der muss auch zehn Runden laufen», bemerkte Loko, während er schon wieder vorüber joggte.
«Nun halt mal die Luft an!» herrschte Herr Wurrmann ihn an. «Bleib mal stehen. Das Herumgerenne macht mich ganz nervös!»
Loko lief langsam aus. «Aber Sie sagten doch, ich müsste …»
Der Lehrer fasste ihn ins Auge. «Loko, hast du die Börsen genommen?»
«Seh ich so aus?» Locker schlenkerte er seine Hände und tänzelte von einem Fuß auf den anderen.
«Hast du oder hast du nicht?»
«Sie können mich ja durchsuchen!» Loko hob kampflustig sein T-Shirt und liess seine trainierten Bauchmuskeln sehen. «Soll ich vielleicht die Turnhose ausziehen? Sie können auch meine Trainingstasche in der Kabine filzen, wenn Sie wollen!» Mit Blick zu den Jungs fügte er abschätzig hinzu: «Auf deren Kröten bin ich eh nicht scharf – ich hab viel mehr Taschengeld als alle hier!»
Die Schüler brausten auf und schrien durcheinander.
«Woher willst du denn wissen, wieviel in meinem Portemonnaie war, he?»
«Und woher kommt dein Taschengeld? Wahrscheinlich hat’s dein Vater geklaut!»
«Du bist doch ein Angebersack!»
Loko packte einen Jungen am T-Shirt. «Pass auf , du!»
«Halt, halt, halt!» Herr Wurrmann drängte sich dazwischen. Als er die Streithähne erstmal getrennt hatte, wandte er sich an Simon. «Und wie steht’s mit dir? Hast du die Börsen genommen?»
Simon hob beteuernd die Arme. «Ganz bestimmt nicht!» Er überlegte, ob er erzählen sollte, dass er Loko mit Manfred vor der Halle gesehen hatte.
«Also, jetzt machen wir Folgendes», entschied der Lehrer und blickte dabei niemanden Bestimmten an. «Derjenige, der die Geldbeutel entwendet hat, wirft sie in den Schulhaus-Briefkasten. So kann er sie zurück bringen, ohne dass es jemand sieht.»
«Aber wer garantiert mir, dass ich meine Börse wieder kriege?» fragte ein Junge aufgebracht. «Ich will mein Geld zurück!»
«Der Dieb muss sie zurück geben», stellte Herr Wurrmann klar. «Sonst hat das Ganze Folgen. Und danach will ich nie wieder so eine Geschichte hier erleben!»

3. Ein brenzliger Plan

«Na endlich!» stöhnte Debora, als die Kaminski-Familie am Mittagstisch versammelt war. Sie hatte mächtigen Hunger, und die ganze Küche duftete verführerisch nach Fritten.
Das Tischlied ertönte diesmal nur mit halber Lautstärke. Opa, Vater und Mutter sangen zwar wie gewohnt mit. Aber Raffi, die sonst am lautesten trällerte, brachte keinen Ton heraus.
Nachdem alle sich guten Appetit gewünscht hatten, stocherte die Kleine bloß in ihrem Teller herum. Und das, obwohl es ihr Leibgericht gab: Gebratenes Hühnchen mit Pommes und Ketchup.
Debora ließ sich aber nicht stören und aß so rasant, als müsste sie den nächsten Bus erwischen. Mutter zerkleinerte für Opa das Fleisch, weil er das nicht selber tun konnte, denn er war fast blind.
«Ich denke, da fallen wieder ein paar schöne Stücke ab», lächelte er. Natürlich dachte er dabei an Zwockel, den jungen Collie-Hund der Familie.
Simon mampfte mit vollem Mund: «Das glaubt ihr nicht, was heute passiert ist …»
«Schluck erst mal runter!» verlangte Vater. «So versteht man eh kein Wort.»
Ungeduldig kaute Simon, doch bevor er damit fertig war, redete er schon weiter: «Einigen aus unserer Klasse wurde die Geldbörse geklaut!»
«Tatsache?» Sogar Debora hielt zwischen zwei Bissen inne. «Deine auch?»
«Die hatte ich zum Glück gar nicht dabei.»
«Weiß man, wer’s war?» fragte Mutter.
Simon schüttelte den Kopf. «Aber Loko könnte es gewesen sein …»
Raffi blickte betroffen auf, als Lokos Name fiel. Sie musste aufpassen, dass sie sich nicht verschluckte.
Mutter legte die Gabel hin. «Gibt es Beweise dafür? Ich find’s nicht gut, dass der Verdacht immer gleich auf einen Ausländer fällt, wenn so was passiert.»
«Loko war nicht allein!» rief Simon. «Ich hab ihn mit Manfred vor der Turnhalle gesehen – dem könnte er die Geldbeutel gegeben haben!»
«Vielleicht wird die Sache ja bald aufgeklärt», beschwichtigte Opa.
Vater stellte sein Glas ab. «Das wäre auch nötig. In letzter Zeit gibt’s öfter Diebstähle in unserer Gegend. Ich hab gehört, in einer anderen Klasse sind ebenfalls Geldbörsen verschwunden.» Er hob die Zeitung, die neben ihm auf der Bank lag, und deutete auf eine Schlagzeile. «Und dann war da dieser Einbruch ins Radio-TV-Geschäft.»
«Ja, ja», seufzte Opa. «Früher gab’s keine solche Sachen hier bei uns auf dem Land.» Er blinzelte, und auf seinem Gesicht zeigte ein Schmunzeln, dass ihm der Spruch alles andere als ernst war.
In diesem Augenblick bellte Zwockel unten auf dem Vorplatz.
Debora öffnete das Fenster und schaute hinaus. Der Hund sah sehnsüchtig winselnd zu ihr herauf.
«Gleich», tröstete sie ihn. «Kriegst ein paar leckere Teile!»
Schwanz wedelnd bellte der Collie erneut, schnappte sich seinen zerknautschten Schaumstoffball und biss darauf herum – er konnte sein Futter kaum erwarten.
Debora setzte sich wieder an den Tisch. In ihrem Teller schichtete sie ein Häufchen mit Fleischfetzen auf, die Zwockel bekommen sollte.
Vater tippte auf die Zeitung. «Bei dem Einbruch waren mehrere Täter beteiligt. So viel weiß man.»
«Wie haben sie das rausgefunden?»
«Fingerabdrücke. Und die Suchhunde sind unterschiedlichen Spuren nach gegangen.»
«Die können sowas riechen?» fragte Simon.
Vater nickte. «Die Hunde prägen sich den Geruch eines Menschen ein und erkennen ihn wieder.»
Simon beugte sich zu Debora hinüber. «Das müssen wir nachher gleich mal mit Zwockel probieren!»
Vater lächelte sie an. «Ihr habt ja selbst schon erlebt, dass Hunde bei der Aufklärung eines Verbrechens bestens zu gebrauchen sind!»
Debora und Simon grinsten sich zu.
Raffi machte sich ihre eigenen Gedanken. Die ganze Zeit kämpfte sie innerlich, ob sie die Sache mit Loko trotz allem erzählen sollte. Jedesmal, wenn sie sich dazu durchrang, sagte jemand anderer etwas und sie blieb stumm. Doch plötzlich blitzte eine Idee durch ihren Kopf, wie sie das Problem am Nachmittag lösen könnte.
Sie würde den Whisky nicht stehlen. Aber sie würde ihn besorgen!
Ihr wurde gleich ein bisschen wohler, wenn sie daran dachte – obwohl dieser Plan ganz schön brenzlig werden konnte …
Als alle mit dem Essen zu Ende waren, stand sie auf und rannte ins Obergeschoss des alten Holzhauses hinauf.
Raffi schob in ihrem Zimmer den Stuhl vom Schreibtisch zum Büchergestell und kletterte hinauf. Sie musste sich beeilen, damit alles erledigt war, bevor ihre Schwester nach oben kam, denn sie teilte sich mit ihr das Zimmer. Im Augenblick war Debora noch mit Simon draußen im Hof, um Zwockel zu füttern.
Die Kleine stellte sich auf die Zehenspitzen, schnappte ihre Spar-Eule im höchsten Regal und sprang auf den Fußboden zurück. Schnell holte sie den Schlüssel aus ihrem Schubfach. Sie schloss die Eule auf und schüttelte den Inhalt auf die Schreibtischplatte. Heraus fielen massenhaft Münzen und ein Zehnmarkschein.
Aufgeregt zählte sie das Geld.
Es waren 26 Mark und 35 Pfennig.
Würde das für eine Whiskyflasche reichen? Es musste einfach – sie sah sonst keinen anderen Ausweg.
Erst jetzt wurde ihr bewusst, was sie da eigentlich vorhatte. Ihr ganzes Erspartes für eine Flasche Whisky opfern! Doch dann wäre sie ihre Sorgen wegen Loko los, und dafür hätte sie alles Geld der Welt gegeben. Aber ihre geliebte Puppe, die sie immer im Schaufenster bestaunte, bekäme sie jetzt wohl nie – dabei hatte sie so lange darauf gespart.
Plötzlich hörte sie Schritte die Treppe herauf knarzen. Hastig begann sie, das Kleingeld auf dem Pult zur Seite zu schaffen.
Doch schon traten Debora und Simon ins Zimmer. «Hey, das musst du dir ansehen kommen, Raffi! Weißt du, was Zwockel kann?»
Deboras Blick fiel auf die vielen Münzen und die Spar-Eule. «Gehst du heute die Puppe kaufen? Reicht dein Erspartes jetzt?»
Die Kleine zuckte verlegen die Schultern. «Nicht wirklich.»
«Was tust du denn sonst mit dem Geld?» wollte Simon wissen. «Unternehmt ihr einen Schulausflug?»
«Ich will nie mehr zur Schule», jammerte Raffi. «Ich hab Bauchschmerzen.»
«Wieso das denn?»
Nun fing die Kleine zu weinen an. Sie konnte es einfach nicht mehr länger aushalten. Das Ganze wurde ihr zu viel.
«Hey, was ist mit dir?» fragte Debora betroffen. «Soll ich Mami holen?»
Raffi schaute erschrocken auf. «Nein!»
«Aber wieso denn nicht?»
Schluchzend versuchte die Kleine zu sprechen, doch man verstand immer nur die Worte «Loko» und «Whisky».
«Na komm!» Debora legte liebevoll den Arm um ihre Schwester, begleitete sie zum Bett und setzte sich neben sie hin. «Ganz ruhig. Wir sind ja bei dir.»
«Erzähl einfach alles der Reihe nach», sagte Simon sachte.
Raffi wischte sich Tränen aus den Augen. «Aber ihr dürft es niemandem sagen», schniefte sie. «Gar niemandem. Das müsst ihr mir versprechen.»
«In Ordnung.» Simon zog den Stuhl heran und setzte sich hin.
Stockend berichtete Raffi die Geschichte mit Loko und wofür sie ihr Spargeld einsetzen wollte.
Als sie fertig war, murmelte Simon: «Also, eigentlich müssten wir das unbedingt Mami und Papi sagen.»
Raffi starrte ihn an. «Auf keinen Fall!» Ihre Augen waren voller Entsetzen. «Loko hat gesagt, ich bin dran wenn ich’s jemand verrate!»
«Es wäre aber wirklich das Beste», fand auch Debora.
Raffis Lippen begannen wieder zu zittern. «Ihr habt mir versprochen, dass …»
«Ist ja schon gut», tröstete Debora.
«Lasst uns nachdenken. Uns fällt bestimmt was ein.» Simon wendete den Stuhl herum und legte seine Arme auf die Lehne. «Loko gehört zu einer Bande, das weiß ich. Aber ich weiß nicht, wer da alles dabei ist. Mit Manfred hab ich ihn schon öfter gesehen. Und auch mit ein paar anderen …»
«Den Whisky braucht er sicher für diese Jungs», vermutete Raffi.
Simon nickte. «Die Sache mit den geklauten Geldbörsen hängt vielleicht auch damit zusammen …»
«Und der Einbruch ins Radio-TV-Geschäft!» rief Debora erhitzt. «Das waren ja mehrere Täter! Könnte doch diese Bande gewesen sein!»
«Das wär ja ’n Ding!» Simon schlug mit der flachen Hand auf die Stuhllehne.
«Das wär wirklich n‘ Ding!» bestätigte Debora. «Aber wenn die Jungs die Sachen gestohlen haben, müssen sie mit dem Zeug doch irgendwo hin. Sie können es ja schlecht bei sich zu Hause ins Zimmer legen, da würden’s ihre Eltern ja merken!»
«Richtig.» Simon betrachtete sie nachdenklich. «Sie brauchen ein Versteck, um die geklauten Sachen unterzubringen.» Er stand auf und tigerte im Kreis herum. «Ein Ort, den niemand kennt – außer ihnen», überlegte er laut. «Wenn wir dieses Versteck finden könnten, hätten wir den Beweis für alles!»
Debora drückte die Kleine an sich. «Dann wärst du deine Sorge los, Raffi! Denn dann würden ja Lokos Vergehen auffliegen und er könnte niemandem mehr was tun.»
«Wir müssten also das Versteck finden», folgerte Simon.
Raffi schnäuzte sich laut in ihr Taschentuch und wischte sich die Nase. «Die Frage ist bloß: Wo sollen wir danach suchen? Das kann ja überall sein.»
«Wir könnten Loko beobachten», schlug Simon vor. «Vielleicht führt der uns auf die Spur zur Bande – oder sogar zum Versteck!»
«Gute Idee», stimmte Debora bei. «Aber wir können ja nicht die ganze Zeit hinter ihm her laufen, das wäre viel zu auffällig. Wenn wir bloß wüssten, wann ein guter Moment dazu ist …»
Raffi löste sich aus ihrer Umarmung. Entschlossen stand sie auf, ging zum Schreibtisch und raffte die Münzen zusammen. «Ich kaufe Loko jetzt den Whisky. Und nachher folgen wir ihm heimlich, um zu sehen, wohin er ihn bringt!»
Simon sprang hoch. «Das ist es! Raffi, du bist Spitze! Ich geb dir auch zehn Mark, damit du nicht dein ganzes Erspartes aufbrauchen musst.»
«Ich auch!» rief Debora.
Die Kleine schüttelte den Kopf und stopfte ihre Handvoll Kleingeld mit dem Zehnmarkschein in die Hosentasche. «Das ist mein Problem.»
«Wir bleiben bei der Whiskyübergabe in deiner Nähe», versicherte Debora aufgeregt. «Falls du Hilfe brauchst!»
Raffi zögerte. «Aber so, dass Loko euch nicht sieht …»
«Ganz bestimmt!»
«Hundertpro?»
«Versprochen! Check!» Simon und Debora hielten Raffi ihre Handflächen hin.
Lächelnd klatschte die Kleine drauf. «Klasse, Mann!»